Individuation:
Der Individuationsprozess, als ein auf das ganze Leben verteiltes Geschehen, ist im Grunde niemals
vollendet. Der Zweck der Individuation ist es, das Selbst aus den falschen Hüllen der Persona einerseits und aus der Suggestivgewalt unbewusster Bilder andererseits zu befreien. Ein Neurotiker, aber
oft auch der "ganz normale" Mensch, versucht immer das Leben mit allen seinen Einzelheiten zu denken und aus-zudenken, aber es nicht am eigenen Leib erfahren zu wollen. Er entzieht sich den Unberechenbarkeiten der Existenz, wo er nur kann, und sucht
Sicherheit gegen Gefahren, wobei Überraschungen bereits als Gefahren empfunden werden, anstatt im Leben möglichst viel erfahren und erleben zu wollen, auch die eigenen Grenzen und auch das Böse in einem selbst. Oder, auch typisch: man wünscht sich das Leben einfach, sicher und glatt und darum sind Probleme tabu. Man will Sicherheiten und keine Zweifel, man will Resultate und keine Experimente, ohne dabei zu sehen, dass nur durch Zweifel Sicherheiten und nur durch Experimente Resultate entstehen können.

Denn: "Einem Menschen seinen
Schatten gegenüberstellen heisst, ihm auch sein Licht zu zeigen".
Und: "Ganzsein heisst zugleich: voller Widersprüche sein."
Man könnte Ganzheit also so umschreiben, dass der Mensch lernt, die Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren, die ihn von der Vollkommenheit, der perfekten Ganzheit trennen.
Der Individuationsprozess zielt auf eine Mitte der Persönlichkeit hin, die gleichzeitig auch ihre Peripherie umschreibt und von
höchster Intensität ist, d. h. eine
außerordentliche Ausstrahlungskraft besitzt; für den Menschen selbst, aber auch für seine Umwelt erkennbar. Diese Mitte ist nach Jung das Selbst und der Ursprung und die Erfüllung des Ichs.
Kernsatz:
Werde du selbst - Werde was du bist - Erwecke deinen Kern, deine Bestimmung.
Aber bedenke:
Eine Eiche kann nicht entscheiden, eine Buche zu werden.

Anima und Animus:
Anima (lat.: Seele) ist das kollektive Bild der Frau beim Mann. Sie ist das weibliche Element
in seinem Unbewussten, seine "innere Frau". Diese erfährt beim Einzelnen persönliche Abwandlungen, die von den jeweiligen Lebenserfahrungen bedingt sind.
Im menschlichen Wesen ist eine Dualität – im männlichen Wesen existiert eine weibliche und im weiblichen eine männliche Gestalt – der Animus (lat.: Geist). Niemand ist nur männlich
oder nur weiblich. In jedem Menschen sind beide Elemente vorhanden und individuell kombiniert. Es kommt sehr auf die innere Harmonie an, wie ein Mann seine weibliche oder eine Frau ihre männliche
Seite integrieren, erkennen und mit ihr im Einklang leben kann.
Im Allgemeinen wird die Anima als intuitiv, aufnehmend, einfühlsam, aber auch launisch aufgefasst.
Der Animus dagegen ist rational, bestimmend und beherrschend.
Anima und Animus tauchen oft in den vordergründigen Charakterzügen der Persona (lat.: Maske) auf und haben kompensierende Funktion. Je mehr z.B. bei einem Mann die Persona durch eine männliche Fassade durchdrungen ist, desto eher ist es wahrscheinlich, dass in einem anderen Lebensbereich ein weiblich-sanftes Verhalten auftaucht.
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